5. Das Professionalitätsproblem: das Dilemma zwischen Fachprofessionalität und „umfassender“ Nicht-Professionalität
Die starke Ausdifferenzierung in den Wissenschaften führt zu einer „Teil-Fachprofessionalität“ in Detailgebieten einer Wissenschaftsdisziplin und zu einer „Semiprofessionalität“ innerhalb der eigenen Hauptdisziplin.
In den Worten der Metapher ausgedrückt: wer am Ende des Rüssels sitzt, hat hiervon Kenntnisse. Für die anderen Bereiche (Beine, Rücken, Augen....) ist er auf die Mitteilung der anderen Spezialisten angewiesen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Spezialisten untereinander nicht auf dieselbe Art die Dinge wahrnehmen und interpretieren. So verfügen Geisteswissenschaftler über eine andere “Fachsprache” als Naturwissenschaftler.
Ein Beispiel für ein deratiges Verständigungsproblem: Der “freie Wille” wird in den Neurowissenschaften völlig anders interpretiert, als in der originär für den freien Willen “zuständigen” Wissenschaftsdiziplin, der Philosophie. Dies führt - da der abstrakte Begriff des “freien Willens” in den Diskussionen undefiniert bleibt, zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen auf beiden Seiten)
Sofern die Untersuchenden aus einer Fachdisziplin (hier: der Psychologie) stammen, so wird es voraussichtlich weniger Verständigungsprobleme geben.
In der Realität gilt allerdings, dass die biologische Psychologie eine rasante Entwicklung genommen hat, eine eigene „medizinische Fachsprache“ entwickelt hat und sich vornehmlich mit klinischen Fragen beschäftigt. In der Sprache der Physik ausgedrückt entsteht hier ein Konflikt zwischen „Nano“- und Mikroperspektive“ und dies innerhalb einer zusammengehörenden Fachdisziplin.
Welche Professionalitäts bzw. Professionalisierungsmöglichkeiten bleiben unter Berücksichtigung dieser Aspekte für einen Geisteswissenschaftler (Pädagogen) übrig ?
Ich meine, dass er zur Teil- oder gar Nicht-Professionalität gezwungen ist: Der Pädagoge ist auf die Ergebnisse seiner „Hilfsdisziplinen“ (Soziologie, Philosophie, Psychologie und neuerdings Neurowissenschaften) angewiesen. Die Hilfsdisziplinen besitzen, wie oben beschrieben keine homogene Struktur. Bereits innerhalb der Hilfsdisziplinen werden Annahmen, Theorien und Ergebnisse kontrovers diskutiert. Die Fülle der vielen Daten und Details zwingt bereits innerhalb der Hilfsdisziplinen zur Vereinfachung und Komplexitätsreduktion. Diese Vereinfachung führt dann im Ergebnis wieder zu oberflächlichen Kenntnissen. Dieser „oberflächliche“ Wissensfundus wird dann von Pädagogen verwertet und bietet dann die Basis für erzieherisches Handeln.
FAZIT:
Forscher definieren ihre Wissenschaft in Paradigmen, welche im jeweiligen historischen Kontext gesehen werden müssen. Das jeweils „gültige“ Paradigma enthält die Meinung einer Mehrheit der „science community“. Es ist das zu einer gegebenen Zeit akzeptierte Wissen. Basis dieses Wissens sind – je nach verwendeten Paradigmen – mit unterschiedlicher Betonung und Schwerpunktsetzung, empirisch belegte Erkenntnisse, methodologische oder philosophische Überzeugungen und Einstellungen.
Die britische Philosophin Mary Midgley (Midgley, Mary, (1992) Science as Salvation:A Modern Myth and Its Meaning, Routledge, ISBN 0-415-06271-3)kommt zu dem Schluss, dass die moderne Wissenschaft weltanschaulich überfrachtet sei, denn es werde ein universeller Erklärungsanspruch erhoben, ohne ihn tatsächlich erfüllen zu können. Ein Entrinnen aus einem Mindestmaß an weltanschaulicher Bindung wissenschaftlicher Erkenntnis scheint unmöglich zu sein. (vgl. Rorty, Richard, (1988), Solidarität oder Objektivität- Drei philosophische Essays, Reclam Verlag, Stuttgart)Die Wissenschaftstheorie als eigene Disziplin versucht dieses Problem theoretisch zu reflektieren. Der Anspruch des Rationalismus, Wissen durch einen klaren Beweis sichern zu können, endet im sog. „Münchhausen-Trilemma“ (Albert,Hans (1987) Kritik der reinen Erkenntnislehre, Mohr Verlag, Tübingen) .
So benötigt jede Begründung eine erneute Begründung. Ein Ende (Letztbegründung) lässt sich angesichts der bestehenden Komplexität der Wissensgegenstände nicht ermitteln.
Damit gerät man in einen unendlichen Regreß (die Begründung, der Begründung einer Begründung...). Möchte man diesen unendlichen Regreß abbrechen, geht dies nur durch einen Abbruch, einer letzten Begründung mit absolutem Wahrheitsanspruch (Dogma). An dieser Stelle dürfte die Frage nach der weltanschaulichen Bindung von Wissenschaft anzuknüpfen sein.
Eine weitere Möglichkeit ist der sogenannte logische Zirkel: Begründungen werden durch erst noch zu beweisende Hypothesen gegeben. Diese wird durch eine andere Hypothese gestützt, welche wiederum auf einer weiteren Hypothese aufbaut...
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