Die Verbindung zwischen Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Neurowissenschaften
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Zunächst beschreibe ich die generellen Anforderungen an Kinder in der Grundschule. Die Basis für Wahrnehmung und Aufmerksamkeit sind unsere Sinnesssteme, insbesondere das Hören und Sehen. Für Eltern und Lehrkräfte ist wichtig, zu wissen, wie weit die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, sowie die grundlegenden Funktionen des visuellen und auditiven Systems bei Schuleintritt entwickelt sind. sin
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Vorbemerkungen
Mit Schuleintritt beginnt für das Kind ein neuer Lebensabschnitt. Es findet ein Wechsel der „Lernform“ vom bisher eher unsystematischen zu einem systematisch strukturierten Wissenserwerb statt. Rita Kohnstamm[1] bezeichnet das schulisch vermittelte Wissen in ihrem Buch „Praktische Psychologie des Schulkindes“, als sog. „kalte“ Kognition . Ziel sei es möglichst viel objektives Wissen zu vermitteln, wobei die Vermittlung selbst ohne emotionale Färbung geschehe.
Ich werde, wenn ich zur Rolle der Emotionen für das Lernen komme - insbesondere aus neuropsychologischer Sicht - später noch einmal diese Feststellung aufgreifen.
Ein weiterer Aspekt welcher sich durch die gesamte Schulzeit zieht, ist neben der Erfordernis einer „kalten“ Kognition, die sprachliche Vermitteltheit des gesamten schulischen Lernens und die daraus resultierende einseitige Betonung und Erfordernis von Sprachbegabungen. Norman Geschwind, ein Neurologe stellt hierzu fest:
„ Man darf nicht vergessen, dass wir praktisch alle unter einer nicht unbeträchtlichen Zahl von speziellen Lernbehinderungen leiden. Ich bin zum Beispiel völlig unmusikalisch und kann keinen einzigen Ton halten. Wir leben nun zufälligerweise in einer Gesellschaft, in der ein Kind , das Mühe mit dem Lesenlernen hat, in Schwierigkeiten gerät. Wir alle haben legasthenische Kinder erlebt, die wesentlich besser zeichneten als Kontrollpersonen, das heißt, die entweder über bessere visuell-perzeptive oder bessere visuell-motorische Fähigkeiten verfügten. Ich vermute, dass ein solches Kind in einer Gesellschaft ohne Schriftsprache kaum Schwierigkeiten hätte oder mit seinen überlegenen visuell-perzeptiven Fähigkeiten sogar besser zurechtkommen würde, während viele von uns, die wir uns hier so gut bewähren, möglicherweise eine schlechte Figur machen würden in einer Gesellschaft, in der eine ganz andere Zusammenstellung von Begabungen erforderlich ist, um Erfolg zu haben. Wird sich eine neue Gruppe Zurückgebliebener herausbilden, wenn sich die Bedürfnisse der Gesellschaft verändern?“ [2]
Im Folgenden soll es zunächst um die Voraussetzungen des Lesen Lernens gehen, welche Rita Kohnstamm ausführlich beschrieben hat.
[1] Kohnstamm, Rita, (1996), Praktische Psychologie des Schulkindes, Verlag Hans Huber, Bern [2] Scientific American 226(4), S.76-83, zit. nach Ornstein/Thompson: Unser Gehirn das lebendige Labyrinth, S.185
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Allgemeine Voraussetzungen für das Lesen lernen
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Sprachlich : Fließende Verständigung in der Muttersprache
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Visuell: Diskriminationsfähigkeit der unterschiedlichen Buchstabenformen, Blickweite: gleichzeitige Erfassung mehrerer Buchstaben
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Auditiv: Lautunterscheidung- einzelne Buchstaben stehen für einzelne Laute
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Um Lesen lernen zu können, benötigt das Kind als Grundvoraussetzung einen entsprechenden Wortschatz. Bei Abruf einzelner Worte aus jenem Wortschatz muss das Kind in der Lage sein, eine bestimmte Vorstellung hierzu zu generieren. In der Regel sind bzw. sollten diese Voraussetzungen bei Schuleintritt gegeben sein.
Besorgniserregend erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass in den vergangenen Jahren eine drastische Zunahme von Sprachstörungen zu verzeichnen ist, welche sich erschwerend für das Lernen in der Grundschule auswirken müssten:
„Besorgt beobachten Experten seit einigen Jahren eine deutliche Zunahme der Sprachstörungen. Nach jüngsten Untersuchungen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben rund 20Prozent der Kindergartenkinder deutlicheMängel bei Sprachverständnis, Wortschatz, Artikulation und Grammatik. 1982 ergaben vergleichbare Studien gerade einmal vier Prozent.“[1]
Ãœber die Ursachen und Hintergründe der nachlassenden Sprachfähigkeiten kann man im Augenblick nur spekulieren. Die genannten Mängel - Sprachverständnis – Wortschatz – Artikulation –Grammatik – bedeuten für diese 20% angehender Schulkinder unzureichende Voraussetzungen für das Lesen Lernen. Denn dies erfordert auf den verschiedenen Ebenen* Folgendes:
[1] http://www.cns.mpg.de//institut/forscherteam/team_friederici_d.xml, 01/2001
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FAZIT:
Lesen lernen erfordert ausreichend vorhandene perzeptive und kognitive Fähigkeiten. Für das Kind bedeutet es zunächst eine mentale Anstrengung. Um erfolgreich Lesen zu lernen, müssen ausreichende Sprachfähigkeiten bei Schulbeginn vorhanden sein und ein gewisses Maß an kognitiven Fähigkeiten zur Verfügung stehen.
Allgemeine Voraussetzungen des Schreiben Lernens.
Rita Kohnstamm beschreibt das Schreiben als eine „geistige Aktivität, die eine motorische Aktivität steuert, nämlich die Bewegungen der Muskeln in der schreibenden Hand....[....].Bei Wörtern, die man liest oder schreibt, geht es um nicht konkret vorhandene Wirklichkeit. Alles, was Kinder wissen müssen, um lesen zu lernen, gilt auch für das Schreibenlernen.“ [1]
Neben den bereits erwähnten Voraussetzungen des Lesen Lernens, erfordert das Schreiben lernen zusätzliche kognitive und motorische Fähigkeiten:
Kognitiver Aspekt: Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs von Frith (1985)[2], berücksichtigt die kindlichen Strategien des Schriftspracherwerbs in drei Stufen:
[1] Vgl. Kohnstamm, Rita, (1996), Seite 27 [2] Frith, U. (1985). Beneath the surface of developmental dyslexia: In Patterson.K.E.; Marshall, J.C. & Coltheart M.(Eds.). Surface Dyslexia.London: Lawrence Erlbaum.300-330.
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Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Frith (1985)
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logographische Stufe
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==> nur die herausragenden Merkmale eines Wortes werden für das Lesen genutzt.
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==> das Schreiben der Worte erscheint eher als Zeichnung, es wird gemalt
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==> Buchstaben und Wörter werden eher als geschlossene visuelle Gestalten wahrgenommen
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alphabetische Stufe
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==> Einsichten in die Isomorphie
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==> Worte werden graphemweise erlesen.
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==> Schreiben: von anfänglichen Lautskeletten zur lautlichen Schreibung
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orthographische Stufe
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==> zunehmende Berücksichtigung von orthographischem Wissen
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Um die alphabetische Stufe zu erreichen, bedarf es der sogenannten „phonologischen Bewusstheit“. Die phonologische Bewusstheit erfordert sowohl visuell-auditive, als auch kognitive Fertigkeiten.
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Notwendige Voraussetzungen für das Schreiben Lernen
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- 1. Auge – Hand – Koordination
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- 2.. Gute Motorik: ==> Kontrolle Fingerknöchel, Arm ruhig ==> Daumen-/ Handgelenksteuerung wichtig ==> Drehungen innen-außen ==> weg vom „Kraftgriff“ des Vorschulkindes, zum Präzisionsgriff des Grundschülers
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- 3. kognitiv- motorische Steuerung: ==> Wahrnehmung der Erfordernis einer Bewegung ==> geistige Referenz des zu schreibenden Buchstabens ==> Koordination der Muskelstimulierung ==> Muskelbewegung kontrolliert + erfolgreich
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Ruth Kohnstamm beschreibt sehr ausführlich die motorischen Voraussetzungen des Schreiben Lernens. Besonders wichtig ist die Abstimmung der einzelnen Schreibprozesse aufeinander. Zur Entwicklung der Feinmotorik im Grundschulalter konnte ich leider keine Quellen finden. Es ist jedoch vermutlich davon auszugehen, dass ähnlich wie im visuellen und auditorischen System, die Entwicklung der Feinmotorik und die visuell-motorische Integrationsfähigkeit beim Eintritt in die Grundschule noch nicht abgeschlossen ist.
Allgemeine Voraussetzungen für das Rechnen lernen
Rechnen zählt neben Lesen und Schreiben zu den grundlegenden Basisfähigkeiten, welche in der Grundschule vermittelt werden. Zunächst sind für das Rechnen lernen die gleichen Wahrnehmungsfähigkeiten erforderlich, wie für das Lesen und Schreiben lernen. Darüber hinaus spielen Gliederungs- und Strukturierungsfähigkeiten, kognitive Fähigkeiten und räumliches Vorstellungsvermögen eine zentrale Rolle.
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Basisfähigkeiten für die Mathematik im Grundschulalter
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- Vorstellungsfähigkeit – anschauliches Gedächtnis für Größen und Beziehungen
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- Visuelle Gliederungsfähigkeit – Raumlageorientierung (räumliche Beziehungen) – Richtungswahrnehmung – vorhandenes Körperschema
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- Beherrschen des Zahlbegriffs und Zahlverständnis (im Sinne der Mengenerfassung)
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- Graphomotorische Fertigkeit, visu-motorische Integrationsfähigkeit
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- Konzentrationsfähigkeit – abstraktes, symbolisches Denken
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- Übertragungsfähigkeit des Zahlwortes in Ziffern .Die Reihenfolge der Ziffern ist meist anders als im Zahlwort gesprochen (14 = geschrieben zehn+ vier, gesprochen vierzehn)
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- Gedächtniskapazität, Leseleistung
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Ich werde an dieser Stelle auf die gesonderten Fähigkeiten für das Rechnen im Grundschulalter verzichten. In der Neuropsychologie ist dieser Bereich im Gegensatz zum Sprechen und Spracherwerb noch recht wenig erforscht. Dahaene[1] ist einer der wenigen Wissenschaftler, welche sich mit diesem Bereich intensiver befasst haben.
Nach Dahaene[2] gibt es zwei Schaltkreise für das Rechnen im Gehirn: Der erste Schaltkreis für einen intuitiven Zahlensinn. Dort werden Zahlen, Zahlenverhältnisse und Größen abgeschätzt. Genaue Berechnungen erfolgen im zweiten Schaltkreis, welcher in Verbindung in den Sprachzentren des Gehirns steht. Mathematikunterricht sollte nach Dahaene sowohl den Zahlensinn, d.h. eher das „Gefühl“ für Zahlen und Berechnungen, als auch den Bereich der genauen Berechnungen trainieren. Für den Zahlensinn benötigt man Verständnis und Erfahrung, für die genaue Berechnung Ãœbung und Automatisierung.
Die oben genannten Ergebnisse sind an dieser Stelle noch sehr oberflächlich. Für eine genaue entwicklungs- und neuropsychologische Betrachtung, wäre eine Analyse der notwendigen sensorischen Basisfähigkeiten und die Betrachtung der entsprechenden Integrationsleistungen zwischen sensorischem und kognitivem Bereich vonnöten.
Die Wahrnehmung im Allgemeinen, die visuelle und auditive Wahrnehmung im Besonderen bilden die Basis für die Betrachtung von generellen Aufmerksamkeitsleistungen, der Entwicklung der Sprache und des Lesens und Schreibens.
[1] Dahaene, Stanislas (1999), Der Zahlensinn oder Warum wir rechnen können, Birkhäuser Verlag, Basel [2] Kurzbeschreibung: URL: http://www.sonntagszeitung.ch/1999/sz19/S93-3481.HTM
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Basisliteratur zum Thema:
Rita Kohnstamm: Praktische Psychologie des Schulkindes
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Monika Armand -- Diplom Pädagogin -- Dürkopstr. 20 -- 33790 Halle (Westf.) -- Email: MonikaAr(at)web.de
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